Nun war ich endlich auch einmal wieder in Paris (war eh schon wieder viel zu lange her!) und habe mir unter anderem das neue Konzept der Tram Express angeschaut. Was früher als Tangentielle Nord bezeichnet wurde, ist ein neuer Ansatz im stetig wachsenden Repertoire an straßenbahnähnlichen Verkehrslösungen der neuen Straßenbahnbetriebe Westeuropas.
Für die Tram Express (T11) als schnelle Tangentialverbindung im Umland, den banlieus der Île-de-France, wurde eine neue, eigene Trasse neben bereits existierender Infrastruktur (Eisenbahnstrecke für Güterverkehr) gebaut. Diese wurde nicht im Vollbahnstandard ausgebaut, sondern mit reduzierten Normen mit geringerem Gleisabstand und geringerer Radlast sowie niedrigen Bahnsteigen. Diese verunmöglichen einen klassischen Vollbahnbetrieb, der daneben stattfindet. Der oft gebrauchte Ausdruck der Tram-Train ist hier also anders zu verstehen als sonst. Die Vorteile: Zwei eigenständige Gleise, die ohne Rücksicht auf den übrigen Verkehr benutzt werden können (gerade bei unterschiedlichen Geschwindigkeitsprofilen und Haltemuster zwischen Nahverkehr und Güterverkehr nicht ganz irrelevant), dank stadtbahnähnlichem Standard aber deutlich höhere Geschwindigkeiten als klassische Tramways.
Da die Tram Express auch keine herkömmlichen Straßenbahnen sind, haben sie meiner Meinung nach einen eigenen Thread verdient. Harald hat
hier schon ein paar Eindrücke gezeigt und beschrieben. Meine sind ein wenig anders: Auch wenn das Konzept sehr reizvoll ist, merkt man seine Nachteile. Positiv hervorzuheben ist auf alle Fälle die hohe Reisegeschwindigkeit und die Fahrzeuge (Alstom Citadis Dualis), welche trotz straßenbahnähnlicher Bauweise über einen angenehmen Fahrkomfort verfügen.
Nachteilig sind vor allem die vielen Details, die gerade bei den französischen Straßenbahnen beachtet worden sind, hier aber in klassischer Vollbahnmanier (die Strecke wurde von SNCF und damals RFF, dem Infrastrukturbetreiber, detailgeplant) umgesetzt wurden:
- Verzicht auf nievaugleiche Übergänge: Auch wenn die Einfahrten in die Stationen mit reduzierter Geschwindigkeit erfolgt, gibt es nur Über- und Unterführungen mit Rolltreppen und Liften. Entsprechende Umwege (vor allem in Épinay-sur-Seine, wo man zuerst die Bahngleise unterqueren muss, um dann erst recht wieder auf Gleisniveau zu kommen und darauf die RER zu überqueren, um dann wieder auf die RER-Bahnsteige hinunter zu gehen) und erhöhte Betriebskosten inklusive. Da die Bahnsteige aber doch niedrig sind, nehmen wohl viele den direkten Weg, zumindest gibt es regelmäßige Durchsagen mit dem Verweis auf das Verbot, die Bahngleise zu überqueren. Der Linksverkehr mag zwar im Falle von niveaugleichen Querungen ungewohnt sein, sollte aber bei der reduzierten Einfahrgeschwindigkeit kein Problem sein.
- Geschlossenes System mit Ticketsperren: Auch das führt zu großen Umwegen mit vielen Zäunen und wenigen Eingängen. An manchen Stellen steht man direkt nebem dem Bahnsteig, muss aber zuerst auf die Überführung, um durch den einen Eingang, bei dem die Geräte installiert sind, durchzukommen...
- Anmutung und Barrierewirkung der Strecke: Dass es keine niveaugleichen Eisenbahnkreuzungen gibt, ist zwar von Vorteil, die allgemeine Einbettung der Strecke ist aber dennoch mehr vollbahnartig. Wenigstens die ästhetische Qualität der Haltestellengebäude und die Gestaltung der Vorplätze (viel Glas und Holz) ist einladend. Die Bahnsteige selbst sind wiederum eher technisch und zweckmäßig.
Schaut man sich die Planungen für die anderen beiden Tram Express-Linien (T12 und T13) an, merkt man, dass man sich wohl diesen Schwächen bereits bewusst ist. Dennoch ist es für mich absolut unverständlich, wieso man für das neue Kind nicht auf Bewährtes zurückgegriffen hat. Die T2 ist de facto ebenfalls eine Tram Express, zwar auf ehemaliger Eisenbahninfrastruktur gebaut und keine eigene Neubaustrecke, aber abgesehen davon sind die Voraussetzungen und die Charakteristik ähnlich: Hauptsächlich eigener Gleiskörper, lange Stationsabstände, hohe Reisegeschwindigkeiten, kaum Kreuzungen mit dem Individualverkehr. Es wäre nur konsequent, diese ebenfalls als Tram Express zu führen. Hingegen wurde bei der T2, die ja von der städtischen RATP betrieben wird, auf die oben genannten Details geachtet: Dort gibt es niveaugleiche Übergänge, dort wurde auf kurze Wege geachtet sowie als offenes System ohne Bahnsteigsperren ausgeführt. Einzig die klassischen Citadis sind dort fehl am Platz, die Querschläge und die Geräuschekulisse bei hohen Geschwindigkeiten eher unangenehm.
Man hat das Gefühl, die SNCF haben bei der T2 gesehen, dass (Quasi-)Eisenbahnstrecken, welche sie längst abgestoßen haben, ohne sie besser gebaut werden können und wollten wohl diesen Präsidenzfall nicht wiederholt sehen: Schon bei der T4 hat man sich wieder ins Spiel gebracht, bei den eher imageträchtigeren Grand-Paris-Projekten, zu denen die Tram Express auch zählen, dann erst Recht. Zumindestens gewinnt man diesen Eindruck.
2024 soll es im Osten weitergehen, 2027 im Westen. T12 und T13 sollen 2025 fertig sein. Diese werden allerdings wiederum teilweise auf herkömmlicher, teilweise aktiver, teilweise reaktivierter Eisenbahninfrastruktur verkehren und als Straßenbahn weitergeführt (wie die T2 bzw. als echte "Tram-Train").
Kleines Detail am Rande: Der dortige Aufgabenträger für das Pariser Umland, also die STIF/Île de France Mobilites, führt nun eine Verbundlackierung ein – auch auf innerstädtischen RATP-Fahrzeugen und natürlich auf den Citadis Dualis der SNCF. Einen der dieser konnte ich aus dem TGV im Technicentre Tram-Train erspähen (mit Rolling-Shutter-Effekt
). Die restlichen Bilder entstanden in Le Bourget (1, 2) und Villetaneuse-Université.