Anschlussgleis Liebenberggasse: Text und Dokumente: Michael Vitecek
Als im ersten Weltkrieg die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln immer schwieriger wurde, kam die Straßenbahn zu Hilfe, indem einige Schleppgleise speziell zum Umschlag von Kartoffeln angelegt wurden.
1915 errichtete man auch ein Gleis zur ehemaligen Detailmarkthalle in der Zedlitzgasse. Diese Halle wurde 1871 als Wiens einzige Markthalle in Leichtbauweise gebaut, sie war zudem die einzige in der Innenstadt. Wegen mangelnden Interesses begann bereits 1899 ein Umbau, danach wurde sie ab 1902 an den Hagenbund, neben Künstlerhaus und Sezession der dritte große Künstlerbund in Wien, zu Ausstellungszwecken vermietet. Die dort vom freisinnigen Hagenbund ausgestellten Bilder, vornehmlich Ausstellungen der Jahre 1911 und 1912 mit Werken von Schiele und Kokoschka, führten aber zu massiven Negativreaktionen seitens maßgeblicher öffentlicher Funktionäre, wobei auch der die moderne Kunst völlig ablehnende Thronfolger Franz Ferdinand eine eher unrühmliche Rolle spielte. Daher wurde 1912 der Vertrag gekündigt, der Hagenbund konnte aber ab 1920 wieder ausstellen. Ab 13. Jänner 1925 war die Halle jedenfalls als Garage für städtische Autobusse in Verwendung. Abgesehen von der Verwendung für Lebensmittellagerungen und –verkauf (siehe unten) wurde die Halle nach der ab 1. Jänner 1942 erfolgten Auflassung als Garage noch als Lazarett, nach anderen Quellen wieder als Ausstellungsraum benutzt. 1965 erfolgte jedenfalls der Abriss, an Stelle der schönen Markthalle steht heute ein Umspannwerk.
Im Jahr 1915 aber wollte die städtische Straßenbahn über Intervention der Magistratsabteilung III ein Stockgleis anlegen, welches vom Parkring (bis 1919 Kaiser-Wilhelm-Ring) ausgehend in die Liebenberggasse führte und eine Abzweigung in die Cobdengasse besaß.
Die Erteilung des Baukonsenses erfolgte am 23. November. Die Länge betrug insgesamt 179,92 m, davon entfielen 66,95 m auf das Gleisstück in der Cobdengasse.
Wie lange die Anlage in Verwendung stand, ist nicht geklärt, in einem Schreiben vom 11. Mai 1920 wird erwähnt, dass die Gleise noch für Lebensmitteltransporte benötigt werden, und am 5. August 1922 teilte die Direktion der Straßenbahnen dem Bundesministerium für Verkehrswesen mit, dass auf der genannten Anlage noch Lastfahrten für das amerikanische Hilfslagerhaus (in der Markthalle) stattfinden würden; zudem wurde ein Hydrant in der Liebenberggasse noch zum Befüllen des Sprengwagens verwendet und daher das Gleis als Aufstellungsplatz genützt.
Eine Anfrage vom 9. November bei der Magistratsabteilung 42 bezüglich der Abtragung, bei der auch auf die Befristung auf Kriegsdauer hingewiesen wurde, ergab allerdings, dass das städtische Wirtschaftsamt wegen der „...Einlagerung von Kartoffeln, Fetteiern und Wurzelgemüse“ sowie großer Warenmengen, die noch im städtischen Lagerhaus liegen, die Anlage in nächster Zeit wieder benötigen werde. Das Bundesministerium lies aber nicht locker und so wurde am 24. Jänner 1924 erneut bei der Straßenbahn urgiert, „...ob die Anlage abgetragen worden ist.“ Eine Antwort erfolgte nicht gerade umgehend, erst am 7. September 1934 wurde gemeldet, dass bereits im Jahre 1925 die Einbindungsweiche in das Gleis an der Ringstraße entfernt wurde, die Abtragung des restlichen Gleises erfolgte 1932. Diese Abtragung wurde am 8. November 1934 nachträglich genehmigt – das Stockgleis Liebenberggasse war Geschichte.
Lobende Anmerkung: Michael Vitecek hat mit wissenschaftlicher Akribie ein längst vergessenes Kapitel der Wiener Tramwaygeschichte dokumentiert.