Warszawa (dt. Warschau) ist mit rund 2 Millionen Einwohnern die mit Abstand größte Stadt Polens und auch die Hauptstadt. Gleichzeitig ist Warschau auch Sitz der Wojewodschaft Mazowieckie (dt. Masowien). Bevor ich etwas über die Straßenbahn schreibe, möchte ich etwas zur Stadt selbst schreiben.
Die Stadt wurde im 2. Weltkrieg fast vollständig zerstört, die Stadt wurde also 1945 im Prinzip komplett neu gebaut, was man ihr auch ansieht. Wer viel verreist, weiß wie "europäische" Stadte aussehen. Eine Altstadt mehr oder weniger in gutem Zustand, ev. mit Bausünden, die zugleich auch das Zentrum der Stadt ist. In Warschau ist das komplett anders. Die Altstadt wurde zwar liebevoll wieder aufgebaut, ist sehenswert, hat jedoch den Charakter eines Freiluftmuseums. Sie ist untertags von Touristen gut frequentiert, abends ist sie jedoch komplett ausgestorben. Es gibt kaum Nachtleben, es ist keine typische Altstadt, wo man abends noch auf ein Bier geht. Lediglich entlang der Krakowskie Przedmieście (dt. Krakauer Vorstadt) wo sich auch der Pałac Prezydencki (Präsidentenpalast) der Amtssitz der Präsidenten der Republik Polen befidnet, gibt es einige Bars, die den Nachtschwärmern etwas bieten.
Ich selbst habe Freunde, die in der Altstadt Warschaus leben und bin dankbar für den Einblick, den ich dadruch habe, der vielen Touristen (auch Polen) verschlossen bleibt. Von außen sehen die Häuser alt aus, innen jedoch merkt man, dass man sich de facto in einem Neubau befindet. Kein Stuck am Gang, keine hohen Türen, keine Verzierungen nichts. Lediglich die Raumhöhe in den Wohnungen erinnert an einen Altbau. Auch die Innenhöfe haben kein altes Pflaster, sondern die typischen quadratischen Betonplatten, die für die Gehsteige des Ex-Ostblocks typisch sind.
Dem gegenüber steht das eigentliche Zentrum Warschaus, das Centrum oder Śródmieście (dt. Innenstadt; ich würde es mit Mitte übersetzten, um es nicht mit der Altstadt (Stare Miasto) zu verwechseln. Außerdem gibt es den Bahnhof Warszawa Śródmieście, den ich mit Warschau Mitte übersetzen würde) genannt wird. Hier strecken sich Wolkenkratzer gen Himmel und über allen thront das höchste Gebäude Polens, der Pałac Kultury i Nauki (dt. Palast der Kultur und Wissenschaft), der umgangssprachlich nur Pałac Kultury (Plast der Kultur) genannt wird. Dabei handelt es sich um einen im sozialistischen Zuckerbäckerstil errichteten Koloss, der 1955 fertiggestellt wurde. Er wird als Sendeturm verwendet, es gibt unzählige Austellungen in ihm und er beherbergt zwei Theater und andere Veranstaltungsräume. Der Umgang mit dem Gebäude ist nicht ganz unproblematisch, erinnert es doch an den Stalinismus und die Knechtschaft Polens im Kalten Krieg. Dennoch gefällt mir dieses Gebäude sehr gut. Der heutige Plan seitens der Stadt ist es, ihn mit modernen Wolkenkratzern zu umzingeln, sodass man ihn nicht so gut sieht, bzw. auch das moderne Polen in der Skyline Warschaus seinen Platz findet.
Ansonsten ist die Stadt für den Autoverkehr geplant und gebaut. Eine typische warschauer Straße hat einen breiten Gehsteig, dann 3 Spuren für den Autoverkehr in eine Richtung, dann zwei eigene Gleiskörper für die Straßenbahn, dann 3 Spuren in die Gegenrichtung und wieder einen breiten Gehsteig. Den Weg der autogerechten Stadt geht man in Warschau konsequent weiter. Fußgänger müssen oft in Unterführungen und im Zentrum beginnt die Verwirrung. Da es viele Straßenbahn- und Buslinien gibt, werden nicht alle Richtungen aufgelistet, es wird nur nach Bezirken vorgegangen. Man sollte also ungefähr wissen wo die Bezirke Praga, Mokotów, Ochota und Żoliborz liegen, denn danach richten sich im Zentrum die Wegweiser zu den Straßenbahnhaltestellen, obwohl keine Straßenbahnlinie eine Endstation mit diesen Namen hat. Die Warschauer Bezirksnamen sind ein Kapitel für sich: Ochota (dt. Lust), Wola (dt. Wille), Praga (dt. Prag), Włochy (dt. Italien)
Bessonders die autogerechte Stadt bestätigen bei jedem Warschaubesuch, dass ich mit dem Stadtslogan "Zakochaj się w Warszawie" (Verliebe dich in Warschau) nichts anfangen kann. Sehenswert ist die Stadt jedoch auf jeden Fall, lebenswert, dagegen nicht. Die Straßenbahn wird an den Kreuzungen mit dem Autoverkehr kaum bevorrangt, ansonsten ist sie aber flott unterwegs, der Gleiszustand ist in der Regel sehr gut.
So genug von der Stadt, kommen wir zum Straßenbahnbetrieb:
Der Betrieb wird von den Tramwaje Warszawskie (Warschauer Straßenbahnen) abgewickelt, in Warschau gibt es nicht ein Verkehrsunternehmen, sondern sehr viele. Koordiniert werden all diese Unternehmen von Zarząd Transportu Miejskiego (ZTM) zu deutsch Verwaltung des städtischen Verkehrs. Es handelt sich dabei im Prinzip um einen Verkehrsverbund. ZTM regelt die Tarife (kein Verkehrsunternehmen gibt eigene Fahrscheine innerhalb des Verbundes aus), gibt Infomaterial heraus, ist zuständig für die Routenskizzen der Linien etc. Einen Netzplan findet man hier:
http://www.ztm.waw.pl/pokazmapy.php?i=16&l=1Der Fahrscheinerwerb ist kein Problem, es gibt viele Automaten oder Verkaufsstellen in den U-Bahnstationen. Auch im Fahrzeug kann man die Fahrscheine beim Fahrer kaufen, sofern kein Automat vorhanden ist. Da wird man aber an der Kabinentür und auch im Internet darauf hingewiesen,
dass der Fahrer nur Einmaltickets verkauft
dass der Verkauf von Fahrscheinen nur während des Stillstandes des Fahrzeuges stattfindet
dass der Fahrer den Verkauf ablehnen kann, wenn das Fahrzeug mehr als 3 Minuten verspätet ist
dass der Fahrgast den Betrag abgezählt bereithalten muss und der Fahrer eventuell kein Restgeld herausgeben kann und dazu nicht verpflichtet ist.
Darunter steht dann noch "Wir erinnern: Für die Fahrt in einem Fahrzeug unter der Verwaltung von ZTM braucht man einen gültigen Fahrschein." Sprich, wenn der Fahrer den Verkauf ablehnt, ist das kein Freibrief zum Schwarzfahren. Während meines Aufenthaltes sah ich aber niemanden beim Fahrer einen Fahrschein kaufen.
Es gibt 4 Betriebsbahnhöfe:
Zajezdnia Wola
Zajezdnia Praga
Zajezdnia Mokotów
Zajezdnia Żoliborz
All das sind Bezirksnamen.
Die Tramwaje Warszawskie sind einer der wenigen polnischen Straßenbahnnetze, die ohne Gebrauchtfahrzeuge aus dem Ex-Westblock auskommen. Es kommen lediglich Fahrzeuge aus polnischer Produktion zum Einsatz. Diese sind folgende:
(Es gibt zu jeder Type ein Foto; unterhalb des Fotos weise ich auf die Type hin; hier stelle ich sie nur einmal vor)
Hochflurwagen:Konstal 13N: Von Konstal in den Jahren 1959-1969 gebaut, bassieren auf dem Tatra T1. Die 13N wurden hauptsächlich für Warschau gebaut, einige wenige kamen auch in Oberschlesien zum Einsatz. Die Gelenkvariante (102Na; 803N für die Schmalspur) kam dafür in jedem Netz Polens zum Einsatz, nur nicht in Warschau. Heute gibt es noch rund 50 Stück, sie sind in Żoliborz und Mokotów zu Hause. Sie verkehren stehts in Doppeltraktion, Dreifachtraktionen sind in Warschau leider vorbei.
Konstal 105Na: Die Standartwagen sind auch in Warschau das Rückgrat des Straßenbahnverkehrs. Es gibt von ihnen unzählige Modernisierungen in Warschau (105Nb, 105Ne, etc.), die ich selbst nicht alle im Detail kenne und die auch von den Fans und der Fachliteratur als 105Na und davon abgewandelte bezeichnet werden. Daher verwende ich hier die Bezeichnung 105Na bzw die umgangssprachliche "105er". Die 105er kann man auf allen Linien antreffen, sind in allen Bahnhöfen stationiert. Sie kommen auf den meisten Linien im Doppelpack, am 6er und 27er Solo (Solówka) und am 31er besteht ca die Hälfte des Auslaufes aus Dreifachtraktionen (Trójskład). Damit ist Warschau der einzige Betrieb, in dem die 105Na sowohl solo, als auch in Doppel, als auch in Dreifachtraktion eingesetzt werden.
Konstal 105N2k/2000: Eine Modernisierung der 105Na, die stehts sepparat erwähnt wird. Die hinteren Wagen haben keine Führerstand mehr, haben jedoch noch einen Stromabnehmer und sind motorisierte Beiwagen. Sie kommen stehts in Doppeltraktion vor und sind in Wola stationiert.
FPS 123N: Hierbei handelt es sich um 2006 neugebaute Hochflurstraßenbahnen, die an das Konzept der 105Na anknüpfen, es sind aber Neubauten. Die hinteren Wagen haben einen vollkommen intakten Führerstand und ein Zieldisplay, kommen jedoch nicht solo zum Einsatz. Auch diese Wagen sind alle in Wola stationiert
Niederflurwagen: Konstal 112N: Der 112N wurde 1995 von Konstal gebaut und ist das erste Niederflurstraßenbahnfahrzeug Polens. Er bietet 24% Niederfluranteil an (bei Tür 3). Es handelt sich dabei um einen Gelenkwagen mit einem Gelenk und 4 Türen. Der 112N ist ein Prototyp, der nie in Serie ging und fristet als einziger seiner Art in Warschau sein dasein. Der Nachfolger (der 114N) ging in "Kleinstserie". Es wurden 2 Stück gebaut, welche in Gdańsk unterwegs sind. Dabei handelt es sich um Doppelgelenkwagen mit NF-Mittelteil. Leider sah ich den 112N nicht, aber ich werde ein Foto von ihm mit Quellenangabe hochladen. Stationiert ist er in Praga.
Alstom-Konstal 116N, 116Na, 116Na/1: Hierbei handelt es sich um Doppelgelenkswagen mit 6 Achsen (der Abschnitt zwischen den Gelenken ist sehr kurz) mit 61% Niederfluranteil (Tür 2 und 3). Der 116N ist der Prototyp (Baujahr 1998), der 116Na eine modifikation (Baujahr 1999) und die Serie hieß schließlich 116Na/1. Da es aber für den Lesefluss einfacher ist und auch polnische Fans meißt nur 116Na sagen, übernehme ich das. Es handelt sich hier um die letzte von Konstal gebaute Serie für Warschau und die vorletzte größere Serie überhaupt. Die letzte größere Serie waren die 116Nd für Oberschlesien. Diese Wagen sind in Wola und Praga stationiert.
Pesa 120N: Das von Pesa erste hergestellte Straßenbahnfahrzeug, gehört zur Familie Tramvicus. Die Schmalspurversion 122N kennt ihr von meinen Berichten aus Bydgoszcz und Łódź. Es gibt insgesamt 15 Stück 120N, welche in Praga und Mokotów stationiert sind.
Pesa 120Na: Das neue Standartfahrzeug der Straßenbahn in Warschau, gehört zur Familie Swing. Swinggarnituren findet man in einigen polnischen Städten. Es gibt in Warschau ca 130 Swing, 186 werden es insgesamt sein. Sie sind in allen Betriebsbahnhöfen beheimatet.
So genug Text, jetzt kommen die Bilder:
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In Służewiec wartet diese 13N-Doppeltraktion auf die Abfahrt. Hier besteht Umsteigemöglichkeit zur SKM.
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Daneben steht ein Dreiwagenzug am 31er. Diese werden hier wirklich gebraucht. Der 31er fährt zwischen Metro Wilanowska (in Warschau wird den Haltestellen von Bussen und Straßenbahnen das Wort "Metro" vorangestellt) und Służewiec. Zwischen Metro Wierzbno und Służewiec sind die Dreiwagenzüge brechend voll. Es gibt hier viele Bürohäuser.
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Bei der Haltestelle Rzymowskiego gibt es eine Brücke für Fußgänger von der Haltestelle zu den Bürotürmen über die Straße. Es wälzen sich die Blechlawinen richtung Służbowiec, genaso wie die Straßenbahn, nur kommt die schneller voran, während die Autos im Stau stehen.
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Diese 105er-Garnitur wird eingezogen.
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Auch dieser Dreiwagenzug hat genug. Leider haben die meisten 105er in Warschau keine Zielanzeigen.
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Ein Konstal 116Na als 17er unterwegs zum Betriebsbahnhof Praga. Es gibt verschiedene Lackierungsvarianten bei den Tramwaje Warszawskie diese hier ist die aktuelle.
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Die 13N zeigen beide Endziele an. Die Tafel mit dem Liniensignal in der Mitte, ist bei nacht übrigens beleuchtet. Der Zielschildkasten wird mit Glühbirnen beleuchtet.
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Im Inneren eines 13N. Diese Schnur ist die Linka Alarmowa zu deutsch die Alarmleine. Zieht man daran, gibt man dem Fahrer ein Alarmsignal.
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Während die forderen 13N alle eine Fahrerkabine haben, haben die hintere meist keine und der Führerstand ist fei zugänglich. Hier die Pedale, die im Notfall verwendet werden können.
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Der Rest ist nicht mehr vorhanden.
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So sieht Fahrgastinformation in den 120Na aus.
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In der Schleife Wyścigi (Rennen) im Süden Warschaus enden die Linien 4, 10 und 35. Hier befinden sich Trabrennbahnen. Heute jedoch finden die Rennen wohl eher über die Autobahn hinter mir statt.
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In der Schleife Metro Młociny gibt es ein großes Dach, das Fahrer und Wagen vor Niederschlag schützt. Man darf hier zwar einsteigen, die meisten Leute warten jedoch bei den Anfangsstationen außerhalb der Schleife, da diese näher zur Metro und zu den Wohnblöcken sind und ebenfalls überdacht sind.
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Eine Solówka als 6er bei der Einfahrt in die Haltestelle Zajezdnia Żoliborz.
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Zwischen Zajezdnia Żoliborz und Metro Młociny verkehrt die Straßenbahn durch einen kleinen Wald. Hier ein 120 Na als 17er richtung Służewiec.