Hier noch - weils grad passt, und auch als "Leseprobe" aus meinem Buch - der Text zu Lyon aus "Die Zukunft der Städte":
Anders als viele der französischen Straßenbahnstädte ist Lyon eine echte Großstadt – die zweitgrößte des Landes. Dementsprechend kam man nie ohne leistungsfähigen öffentlichen Verkehr aus, auch wenn Mitte der 1950er Jahre die Tramway alten Typs eingestellt wurde. Das Netz aus Diesel- und Trolleybuslinien bildete dann bis 1978 das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Lyon ist der französische Ballungsraum, den man am ehesten mit Wien vergleichen kann. Lyon hat bereits in den 1970er Jahren auf modernen ÖV gesetzt, und so kann die Bevölkerung wie in Wien seit 1978 ein U-Bahn-Grundnetz von mittlerweile vier Linien nutzen. Ab Mitte der 1990er Jahre schlug Lyon aber einen anderen Weg ein.
Das Verkehrsnetz von Lyon ist abwechslungsreich: Zwei klassische Métrolinien, allerdings nach französischem Stil auf Gummireifen, werden von einer zur Métro umgebauten Zahnradbahn ergänzt; dazu kommt noch die fahrerlose U-Bahn der Linie D: Die typisch französische Unbeschwertheit und Technikverliebtheit ermöglicht fahrerlose Züge, die ohne jegliche Schutztüren am Bahnsteig verkehren! Bewusst wollte man freizügige Stationsräume schaffen, was auch durchaus gelang. Die Station „Vieux Lyon“ an der Métro D ist auch Ausgangspunkt von zwei Bergbahnen; das ausgedehnte Dieselbus-Netz wird von elektrischen O-Buslinien ergänzt, von denen wiederum drei als „Cristalis“ besonderen Status genießen und mit modernen Fahrzeugen bedient werden.
1996 entschied sich Lyon dann, die geplanten Ausbauten der Métro hintanzustellen und stattdessen neue Straßenbahnen an der Oberfläche zu bauen. Für die Métro sind nur noch kurze Ergänzungen um je ein oder zwei Stationen vorgesehen. Die Vorteile des Konzepts, mit der Tram Städte neu zu gestalten und zu beleben, hatten sich in Frankreich mittlerweile herumgesprochen und so erfolgte die Abkehr vom Métrobau unter Mitwirkung der Bevölkerung – eine nachvollziehbare Entscheidung, wenn man sich die Umgebung einiger Haltestellen an der Métro D ansieht - dünn besiedelte Gegenden mit vorstädtischer Bebauung. Hier wird sofort klar, dass ein schnelles Verkehrsmittel an der Oberfläche passender wäre…
Die Linie 1 der Straßenbahn verbindet seit Dezember 2000 die Bahnhöfe Perrache mit Part-Dieu, und das über weite Strecken parallel zur Métro B. Ab der Station Charpennes wurde sie allerdings statt der Métro zum Univiertel gebaut, da man sich von der Tram bessere Erschließung versprach. Inzwischen wurde sie am südlichen Ende verlängert, die Gleise führen aber bereits noch weiter - man wartet nur noch darauf, dass das eigentliche Fahrtziel entsteht: in einem Stadtentwicklungsgebiet wird vom Wiener Architektenteam „Coop Himmelb(l)au“ das „Musée des Confluences“ errichtet.
Die Linie 2 startet bei Perrache und überquert gemeinsam mit Linie 1 die Rhône. Während die T1 aber abbiegt und die Altstadt nördlich umfährt, führt die T2 geradlinig etwa nach Westen. Der Autoverkehr auf der dabei durchfahrenen Avenue Berthelot wurde massiv reduziert – von vorher sechs auf nun zwei Spuren. Eine Fahrt entlang der schnurgeraden Strecke mit der langen Reihe von Straßenbahnsignalen ist ein spezielles Erlebnis: Zügige Fahrweise, Halt nur an den Stationen, die zahlreichen Lichtsignale werden zuverlässig vor der Tram frei – so sieht moderner Straßenbahnverkehr aus, der auch den Autofahrern klar macht, welches Verkehrsmittel das für die Stadt sinnvollere ist!
Im November 2006 kam mit der Linie 3 eine umgebaute Eisenbahntrasse dazu, die abseits des Straßenraums verläuft und eher mit der Wiener Lokalbahn verglichen werden kann. Die Strecke beginnt – nicht sehr günstig - an der Rückseite des Bahnhofes Part-Dieu, abseits aller anderen ÖV-Haltestellen und führt dann nach Westen. Zahlreiche schrankengesicherte Bahnübergänge prägen die Linie, wobei die Schließzeiten extrem kurz gehalten werden: 23 Sekunden vom Aufleuchten des roten Lichts bis zum Öffnen nach Durchfahrt des Zuges – die Rotphasen ganz normaler Wiener Verkehrsampeln sind deutlich länger… Diese Strecke wird seit 2010 auch von der neuen Schnellstraßenbahn zum Flughafen befahre. Schon bei der Errichtung der T3 wurden daher in einigen Stationen Überholgleise mitgebaut.
Als vorläufig letzte Linie eröffnete man 2009 die T4, die bei der T2 an der Avenue Berthelot beginnt und nach Süden führt. Die 10km lange Strecke schlängelt sich durch die Gemeinde Vénissieux, um für möglichst viele Einwohner leicht erreichbar zu sein. Um 2013 soll sie dann nach Norden verlängert werden und bei Part-Dieu auf die T3 bzw. bei Charpennes auf die T1 treffen.
Darüber hinaus sind Zweigstrecken oder Verlängerungen bei allen vier Linien vorgesehen.
Inzwischen umfasst das Tramnetz von Lyon bereits fast 50 Kilometer – in den knapp 15 Jahren seit 1996 hat man damit mehr als ein Viertel der Wiener Netzlänge zustande gebracht; in dieser Zeit entstand in Wien kein einziger Kilometer Straßenbahnstrecke neu, stattdessen verschwanden etwa 8 Kilometer wegen des Baus paralleler U-Bahnen. Deutlicher lassen sich die unterschiedlichen Philosophien in Frankreich und Wien kaum dokumentieren!